21.09.2024
Wort zum Sonntag 38KW/24

Ich sehe was, was du nicht siehst

„Mama, habe ich das gut gemacht?“ fragt mein Vierjähriger, als wir das Arztzimmer verlassen haben. Natürlich bin ich stolz auf ihn. Keine Frage. Mamas sind stolz und glücklich, wenn ihre Kinder etwas tun, was ihren Erwartungen entspricht.

Aber mit seiner Frage wird mir klar, dass ich ihm genau das nicht (deutlich genug) gesagt habe. Während ich in Gedanken schon weiter war – auf der Suche nach dem Kassenautomaten für den Parkplatz oder gar dem Heimweg – war er noch im Hier und Jetzt. Beim Arzt, der Untersuchung und all seinen Gefühlen damit.

„Mama, habe ich das gut gemacht?“ mit dieser Frage holt mich der kleine Mann in seine Gegenwart. Er zeigt mir seine Gefühle und Bedürfnisse und erinnert mich, dass ich daran nicht vorbeilaufe. Denn manchmal passiert mir das, dass ich in meinem Alltagswirrwarr Dinge übersehe. Dann ist es gut, wenn mich einer daran erinnert. Einer, der sagt, „Ich sehe was, was du nicht siehst“. Schau mal genauer hin!

Kinder können das so gut! Sie (er)leben ganz intensiv die Gegenwart. Sie sind getragen von Gefühlen, die sie unmittelbar erfahren. Sie sehen die Welt klarer, unverstellter und erblicken manchmal das, was ich übersehe.

Auch wenn ich um so viele Jahre Lebenserfahrung reicher bin, bin ich diesem kleinen Menschenkind und seinem ehrlichen Blick so dankbar – für jeden noch so kleinen Erinnerungs-Moment. Denn ich sehe manchmal leider nicht mehr das, was er (noch) sieht.

Darum geht in diesen Tagen mein Dank raus – an all die kleinen und großen aufmerksamen Menschenkinder, die unsere Welt ehrlicher und reicher machen.

Und für dich: was sehe ich, was du nicht (mehr) siehst?

 

Kathrin Käss
Pfarrerin im Kirchspiel Querfurt