28.01.2022
Wort zum Sonntag 4KW/2022

»Hüte dich nur und bewahre deine Seele gut, dass du nicht vergisst, was deine Augen gesehen haben, und dass es nicht aus deinem Herzen kommt dein ganzes Leben lang.« (Dtn 4,9)

In diesen Tagen jährte sich die Wannsee-Konferenz zum 80. Mal, ein Treffen hochrangiger NS-Administraten zur Verabredung der sog. Endlösung, also der Vernichtung aller Juden in Europa. Es gefriert mir das Blut, wenn ich mir die Sachlichkeit, die Nüchternheit, die verschleiernden Formulierungen vergegenwärtige, mit denen das ungeheuerlichste Menschheitsverbrechen verabredet wurde. Am 27.1. haben wir der Opfer dieses Verbrechens gedacht. Erinnern ist etwas zutiefst Innerliches. Es betrifft meine Seele, mein Herz. Wenn ich vergesse, hängt alles in der Luft. Wenn ich Boden unter den Füßen haben will, brauche ich: Erinnerung, Verinnerlichung! Nicht abstrakte Zahlen und Fakten, sondern Namen und Gesichter. Nur so bleibt für mich die Shoa kein unpersönliches Grauen. Jede Geschichte berührt mich, zerreißt mir das Herz, treibt mir die Tränen in die Augen. Ich identifiziere mich mit dem individuellen Leid, fühle mich ergriffen und betroffen. Ich lasse meine Seele angehen, was geschehen ist in Auschwitz und anderswo. Deshalb will ich genau das tun, was das Bibelwort sagt: ich will mich hüten zu vergessen; ich will erinnern, verinnerlichen, ich will in meinem Herzen behalten. Denn ich trage Verantwortung dafür, dass Mitmenschlichkeit und Geschwisterlichkeit auf unserer Erde lebendig bleiben. Dass sie nicht noch einmal in Rauch aufgeht wie in Auschwitz. Nur so bleibe ich im Heute wachsam gegenüber Entwicklungen von Diskriminierung, Hass und Rassismus. Hüten wir unsere Seelen vorm Vergessen!

Ihre Pfarrerin Antje Böhme, Pfarrbereich Wallendorf