08.05.2020
Wort zum Sonntag 09/2020

Der 8. Mai 1945 - Tag der Befreiung?

So wird das Ende des 2. Weltkriegs noch nicht lange und noch längst nicht von allen genannt. Das Corona-Virus, das seit Wochen in vielfältiger Weise in unser Leben eingreift, verändert auch diesen denkwürdigen Tag. Viele Gedenkveranstaltungen wurden abgesagt. Aber: Gedenken ist nicht abgesagt! Für mich gehört es zum Menschsein und zum Christsein. Mich bewegen Fragen wie diese: Wie konnte es geschehen, dass in Deutschland ein solcher Ungeist um sich griff, der einem ganzen Volk vorgaukelte, man habe das Recht, Menschen für minderwertig oder gar lebensunwert zu erachten? Ich lese Biografien und Zeitzeugnisse, versuche das Unfassbare zu ergründen. Ich merke, wie schnell ich im Heute lande. Wie kann es sein, dass heute Menschen mit brutaler Gewalt gegen Andersdenkende vorgehen? Welcher Ungeist ist es, der heute Menschen andere ermorden lässt? Was ist los in unserer Welt, in unserem Land, in meiner geliebten Heimat, dass da wieder dumpfer Hass, ekelerregende Menschenverachtung, unfassbare Dummheit um sich greift? Ich denke: So lange Menschen ihr Menschsein verraten und verkaufen an eine Ideologie, von der ich dachte, wir hätten uns von ihr befreit seit dem 8. Mai 1945; solange kann und will ich nicht schweigen. Solange will und muss ich reden und mahnen: Haltet ein! Denkt nach! Besinnt Euch! Das Darmstädter Wort der Kirche von 1947 bekennt: „Wir sind in die Irre gegangen…“. Worte, die damals nicht gerne gehört wurden. Und sie werden auch heute nicht gerne gehört. Aber sie müssen gesagt werden! Ich flehe und bitte um Gottes und der Menschen willen: Gehen wir nicht wieder in die Irre! Nie wieder!
Pfarrerin Antje Böhme, Pfarrbereich Wallendorf